Moralisch im Reinen


Der Historiker Heinrich Küppers verharmlost in einer Biografie die NS-Vergangenheit des »ewigen« Ministerpräsidenten Franz Josef Röder

Von Julian Bernstein

Historikern geht es darum, die Vergangenheit möglichst nüchtern zu rekonstruieren, das Handeln der Menschen kritisch zu hinterfragen und möglichst objektiv darzustellen – zumindest der Theorie nach. Nicht selten verfolgen Historiker aber eigene Interessen. Die einen wollen mit ihren Werken großen politischen Ideen zum Durchbruch verhelfen, andere verstehen die Geschichte als plumpe Legitimationswissenschaft zur Flankierung aktueller politischer Vorhaben, und wieder andere schreiben gegen historische Ungerechtigkeiten an. Auch Heinrich Küppers – bis 2005 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wuppertal – verfolgt mit seinem 154-seitigen Röder-Büchlein (Franz Josef Röder (1909-1979). Baumeister des Bundeslandes Saarland) 1 sein ganz eigenes Ziel. Der Saarbrücker Zeitung sagte er Ende vorigen Jahres, eine Diskussionsverantaltung habe ihn zur Forschung veranlaßt. Dort wurden für seinen Geschmack allzu kritische Fragen zur NS-Vergangenheit des früheren Ministerpräsidenten laut, weshalb er sich dachte: »Röder kann doch nicht so niedergemacht und kritisiert werden.«2

Dankenswerterweise schickt Küppers diese Warnung vorweg. So muß man sich bei der Lektüre denn auch nicht wundern, daß Franz Josef Röder – der »Baumeister« des Saarlandes – mehr oder weniger durchgängig als untadelige Lichtgestalt beschrieben wird: Als »souverän«, »mutig«, »leidenschaftlich«, »sachlich«, »authentisch«, »klug«, »stets fair und kollegial« zeichnet Küppers seinen Röder, der mit »Courage«, »Charisma«, »Ehrgeiz«, »Eloquenz«, »Intelligenz« und »politisch-geistiger Brillanz« vermeintlich selbstlos zwanzig Jahre lang die Interessen des Saarlandes vertreten habe. Natürlich konnte er in der politischen Auseinandersetzung auch autoritär und hart sein, räumt Küppers ein, doch nur dann, wenn er die Interessen seines geliebten Landes in Gefahr sah. Man merkt schnell: Küppers’ politische Biografie ist mehr Hommage als Wissenschaft und wohl ganz im Sinne der CDU-nahen Unionsstiftung, die das Werk über ihren »ewigen« Ministerpräsidenten finanziert hat. Röder wird zur großen einigenden Figur der saarländischen Nachkriegsgeschichte stilisiert, die zwischen den Heimatbundparteien und der CVP von Johannes Hoffmann vermittelt habe. Wichtig ist Küppers dabei die scharfe Abgrenzung zu den Altnazis Heinrich Schneider (FDP/DPS) und Hubert Ney (CDU). Die ergebe sich daraus, »daß Röder zeit seines Lebens große Vorbehalte gegen nationalistische Dogmen hatte und erst recht gegen nationalsozialistisches Denken.« (24) Ob diese Vorbehalte tatsächlich »zeit seines Lebens« bestanden, ist jedoch fraglich.

Röder und die saarländische Historikerzunft
Jede Jubelhymne auf Röder ist heute mit einem unschönen Problem konfrontiert: der Zeit zwischen 1933 und 1945. Als junger, frisch promovierter Lehrer trat Röder am1. August 1933 der NSDAP bei, wenig später auch dem NS-Lehrerbund (NSLB) und dem NS-Kraftfahrkorps (NSKK). Auf Seiten der Deutschen Front kämpfte er für den Anschluß an Hitler-Deutschland. Nach dem Anschluß des Saarlandes wechselte Röder 1937 in den begehrten Auslandsschuldienst in die Niederlande, wo er im Auftrag des gleichgeschalteten Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) auch die Auswahl nationalsozialistisch gesinnter niederländischer Studierender für ein Studium im Deutschen Reich verantwortete. Diese Nähe zum Nazi-Regime läßt sich heute nicht mehr so einfach verschweigen. Mit dem Erscheinen von Peter Wettmann-Jungbluts Auseinandersetzung mit Röders Vergangenheit in der Zeitschrift saargeschichte|n hat sich unter den Röder-Fans der saarländischen Historikerzunft denn auch ein Strategiewechsel vollzogen.3 Der frühe, noch vor dem Anschluß des Saarlandes erfolgte Eintritt in die NSDAP, den der Historiker Erich Später in dieser Zeitschrift im Jahre 2003 bekannt machte4 , wird nun – mehr als ein Jahrzehnt später – durchaus zur Kenntnis genommen. Ebenso kommt man nicht mehr darum herum, Röders zunächst 1940 im Besatzungsorgan Deutsche Zeitung in den Niederlanden erschienenen Aufsatz Marnix von St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms 1578. Ein Hilferuf an das Reich zu erwähnen.5 Der Aufsatz über die Rede eines niederländischen Adligen, der das Heilige Römische Reich um Hilfe im Kampf gegen die katholischen Spanier anflehte, sollte die historische Zugehörigkeit der Niederlande zu Deutschland betonen und die Besatzung historisch legitimieren. Seinen Aufsatz hat Röder 1941 als Sonderdruck separat herausgebracht6 und 1942 ein weiteres Mal im Niederlandbuch veröffentlicht, einer Gemeinschaftspublikation hoher Funktionäre der deutschen Besatzungsmacht und niederländischer Kollaborateure zum Zwecke der NS-Propaganda.7 Diese, für eine aktiv-unterstützende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus sprechenden Tatsachen werden heute zwar benannt, jedoch im Großen und Ganzen als Lappalien abgetan – auch von Küppers. Als er etwa auf Röders Epurationsverfahren nach dem Krieg und seine NSDAP-Mitgliedschaft zu sprechen kommt, leitet er die betreffende Passage so ein: »Wirklich Belastendes musste er nicht anmelden.« (16) In diesem Satz steckt nicht nur eine Bagatellisierung der Mitgliedschaft in der NSDAP, sondern auch die gerade für einen Historiker irrige Annahme, Röders schwer nachprüfbare Angaben seien vollständig und entsprächen zwangsläufig der Wahrheit. Und diesem Stil geht es weiter. In einem Rechtfertigungsschreiben, das Röder während seines Epurationsverfahrens verfasst hatte, erklärt er seinen frühen und freiwillig erfolgten Beitritt zur Hitler-Partei nicht mit seiner nationalsozialistischen Gesinnung, sondern mit dem vermeintlich großen moralischen Druck, der auf ihm lastete, sich mit dieser Mitgliedschaft zu Deutschland zu bekennen. Küppers macht sich gar nicht die Mühe, diese Argumentation zu hinterfragen, er übernimmt sie schlichtweg: »Die Situation, die Röder hier schildert, ist von ihm keineswegs dramatisiert worden, um ein eigenes moralisches Fehlverhalten zu relativieren, sondern war, wie die Forschung längst belegt hat, Wirklichkeit.« (17)

Röder und die SA

Es ist das Porträt eines harmlosen patriotischen Mitläufers, das Küppers zeichnet. Das gelingt ihm unter anderem, indem er auf Röders Wirken als Mitglied der Deutschen Front zur Zeit der Saarabstimmung mit keinem Wort eingeht. Mit welchen Mitteln die von den Nazis gesteuerte Organisation gegen Hitler-Gegner vorging, und welche Rolle Röder dabei spielte, erfährt der Leser nicht. Die Quellen, die von Röders eigenhändigem Mitwirken im Saarkampf Zeugnis ablegen, sind in der Tat spärlich. Aus Röders Epurationsakte geht aber immerhin hervor, daß die Deutsche Front Röder nach dem Anschluß für seine Verdienste ein Dankschreiben zukommen ließ – was Küppers unerwähnt läßt. Ebenso verschweigt er ein brisantes, öffentlich bislang nicht ausgewertetes Dokument, das ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen vermag: einen Brief seines Vaters Franz Röder, den Kreisschulrat von Ottweiler, an die NS-Behörden. Röders Vater war 1937 von den Nationalsozialisten vorzeitig in Pension geschickt worden, da er als Katholik die Abschaffung der Konfessionsschulen kritisierte hatte. Wegen seiner vorzeitigen Pensionierung stellte er nach dem Krieg einen Antrag auf Wiedergutmachung, der letztlich jedoch abgelehnt wurde. Der Grund hierfür dürfte der besagte sechsseitige Brief sein, der sich auch heute noch in der Entschädigungsakte von Vater Röder im Landesarchiv befindet. In dem Schreiben vom 13. Januar 1937, das Röder offensichtlich im Nachgang an eine Vernehmung verfaßte, breitet er, um jeden Verdacht zu zerstreuen, durchaus glaubwürdig seine nationalsozialistische Gesinnung aus. Dabei argumentiert er auch mit der Regimetreue seines Sohns Franz Josef, über den er Folgendes berichtet:

Mein Sohn war vor der Rückgliederung Mitglied der Partei und und (sic!) sogar der illegalen SA; er ist jetzt Scharführer und Leiter der MHJ (gemeint sein dürfte die Motor-HJ; Anm. d. Verf.), alles Dinge, die doch nur mit meiner Einwilligung möglich sind.8

Auch wenn es sich bei dem Schreiben um ein Dokument handelt, mit dem ein unter Druck geratener Schulrat versucht, sich gegen eine ihm vorgeworfene staatsfeindliche Gesinnung zu verwahren und freilich gut daran tut, seine Nähe zum Regime bestmöglich auszuschmücken, dürften an der Richtigkeit der Angaben über seinen Sohn wenig Zweifel bestehen. Es wäre für die Behörden ein Leichtes gewesen, diese Angaben der Fälschung zu überführen – ein Risiko, das Röder Senior wohl kaum eingegangen wäre. Zudem decken sich die Angaben teilweise mit Röders Epurationsbescheid. Neben der bekannten NSDAP-Mitgliedschaft war er zu dieser Zeit beim NSKK tatsächlich Scharführer. Seine dortige Tätigkeit würde zudem mit der Funktion als Leiter der Motor-HJ übereinstimmen, auch wenn Röder diese Leitungsfunktion wie auch seine SA-Mitgliedschaft während seines Verfahrens aus gutem Grund verschwieg. Die Erkenntnisse, die sich aus diesem Dokument ergeben – in erster Linie Röders anzunehmende Mitgliedschaft im SA-Schlägertrupp und die damit einhergehende mutmaßliche Beteiligung an der Terrorisierung all jener, die sich der NS-Volksgemeinschaft vor der Saarabstimmung entgegenstellten – widersprechen deutlich der von Küppers vertretenden Mitläuferthese. Vielmehr ergibt sich das Bild eines jungen nationalsozialistischen Kaders.

Aufstieg zum Auslandslehrer

Bemerkenswert ist auch Küppers’ Bewertung von Röders Tätigkeiten in den Niederlanden. Daß die deutschen Auslandsschulen und ebenso der DAAD zur Zeit des Nationalsozialismus wichtige außenpolitische Instrumente waren, läßt der Autor elegant unter den Tisch fallen. Ohne Parteimitgliedschaft und eine Erklärung der jeweiligen NSDAP-Ortsgruppe über die nationalsozialistische Gesinnung des Bewerbers war es quasi unmöglich, sich an einer Auslandsschule zu bewerben. Denn man suchte gezielt nach »Bannerträger[n] des neuen Deutschlands«, zu denen offensichtlich auch der junge Röder zählte.9 Zum Bewerbungs- und Auswahlverfahren schreibt Küppers allerdings: »Entscheidend war allein die nachgewiesene Kompetenz Röders als Pädagoge und nicht irgendeine NS-Mitgliedskarte.« (28) Auch über das Den Haager Realgymnasium weiß der Autor Eigenartiges zu berichten. Es wirkt fast so – sieht man von dem auch von Küppers erwähnten Ausschluß der jüdischen Schüler und Lehrer einmal ab –, als sei die Schule in der Zeit des Nationalsozialismus ein seltener Hort der Freiheit gewesen, wenn er schreibt: »Als Röder im Jahre 1937 in das Lehrerkollegium der Haager Schule eintrat, verlief das Unterrichtsgeschehen relativ frei von irgendwelchen politischen Einflüssen.« (27) Der Grund hierfür sei der hohe Grad an Autonomie in Finanzfragen gewesen. Die dennoch benötigten Gelder des Auswärtigen Amtes bekam die Schule laut Küppers bis 1940 »relativ unkompliziert und ganz nach der traditionellen Regel, daß Schule von Politik freizuhalten sei, also zweckgebunden, aber ohne Weisung.« (28) Wie Küppers darauf kommt, daß die auch für die Auslandsschulen mit wenigen Abstrichen gültigen deutschen Lehrpläne, die etwa Rassenkunde und dergleichen beinhalteten, am Haager Realgymnasium nicht umgesetzt wurden, bleibt sein Geheimnis. Daß diese Schule auch schon vor dem deutschen Einmarsch sehr wohl vom Nationalsozialismus durchdrungen war, zeigt – neben der frühzeitigen Arisierung von Kollegium und Schülerschaft – unter anderem die Reaktion auf den deutschen Überfall auf die Tschechoslowakei 1939. Die Zerschlagung des Landes wurde mit einer Feier und dem Hissen der Hakenkreuzflagge begrüßt. Das Verhalten der Schule rief in den Niederlanden damals breite Empörung hervor.10

Im Dienste der »Rückdeutschung«

Erstaunlich wenige Worte verliert Küppers zudem über Röders Tätigkeit als Leiter der Außenstelle des DAAD in Den Haag. Die Aufgabe des DAAD war es, die politisch-militärische Hegemonie des Deutschen Reiches abzusichern. Die kollaborierenden Stipendiaten sollten während des Krieges zum Einsatz in Freiwilligenverbänden, Hilfstruppen oder der Waffen-SS animiert werden und nach dem Krieg in ihren Herkunftsländern eine politisch verläßliche Basis bilden.11 Im sogenannten »germanischen Nordwesten«, und damit auch in den Niederlanden, hatte der DAAD darüber hinaus nicht nur eine außenpolitische Funktion, sondern er war ein Instrument der Rassenund Volkstumspolitik. Er sollte seinen Beitrag zur »Rückdeutschung« und der »Wiedervereinigung der Menschen germanischen Blutes« leisten.12 Über diese hochpolitische Aufgabe, die Röder verantwortete, erfährt man bei Küppers nichts. Stattdessen übernimmt er die Deutung Wettmann-Jungbluts, der »Indizien für ein stilles Aufbegehren Röders gegen den Nationalsozialismus« zu erkennen glaubt. Einer der Gründe: Am Ende eines von dieser Zeitschrift im Jahr 2003 und noch einmal 2013 abgedruckten Berichts Röders vom 17. April 1943 an seinen Chef Friedrich Wimmer, in dem er unter anderem taktische Überlegungen zur Nazifizierung der niederländischen Studierendenschaft anstellt, befindet sich kein »Deutscher Gruß« als Schlußformel, sondern lediglich ein »gez. Röder«. Küppers rückt dies tatsächlich in die Nähe einer Widerstandstat:

Mut bewies Röder aber offensichtlich auch wegen des Adressaten. Schließlich war der Empfänger seines Berichts ein hochrangiger NS-Kommissar in der Zivilverwaltung. […] Und der erhielt von Röder nicht nur einen trockenen Sachbericht, sondern zugleich auch Informationen, die Röder ohne den obligatorischen »Deutschen Gruß« losgeschickt hatte. Das war im Krieg kein kleines, sondern ein großes Risiko. (31)

Die Formel »gez.« am Ende von Berichten und stichwortartigen Aufzeichnungen ist zur Zeit des Nationalsozialismus jedoch keinesfalls unüblich gewesen, auch nicht bei innerbehördlichen Schreiben an Vorgesetzte. Die Verwendung des »Deutschen Grußes« hing stark vom Kontext und noch mehr von der Textform ab. Man könnte diese Fehleinschätzung als harmloses Ärgernis abtun, würde der Autor sie an dieser Stelle nicht auch noch dazu nutzen, die Glaubhaftigkeit von Röders Angaben bei seinem Epurationsverfahrens untermauern zu wollen. Er schreibt weiter:

Und darum mit Nachdruck, wenn Röder im Jahre 1948 gegenüber der Spruchkammer geltend gemacht hat, dass er in seiner Haager Zeit in seinem Dienst für den DAAD »so manchen jungen Niederländer vor dem Zugriff der Gestapo« geschützt hat, so ist das ebenso glaubhaft wie seine Aussage, dass er »jede Mitwirkung bei der nach 1940 aufgezogenen Partei« abgelehnt habe. (31)

Einen Beweis für diese rein spekulative Behauptung bleibt Küppers schuldig.

Röder als Propagandist

Daß es noch eine Spur absurder geht, beweist der Autor mit seinen Ausführungen zu Röders Veröffentlichung im Niederlandbuch. Am Schluß seines Marnix‘ von St. Aldegonde schreibt Röder:

Heute ist das Reich so stark wie es noch niemals in seiner Geschichte gewesen ist. Als die führende Macht in Europa wird es diesem Erdteil eine neue politische und wirtschaftliche Form geben. Heute liegt es an den Niederlanden, sich in diese Neuordnung mit einzubauen und, wie der Reichskommissar es kürzlich ausdrückte, die dargereichte Freundeshand anzunehmen.13

Hier bekommt selbst Küppers einige Erklärungsschwierigkeiten. Der Deutung Wettmann-Jungbluts, der Röders Marnix als »relativ neutrales Dokument« bezeichnet, will er an dieser Stelle nicht folgen und räumt zunächst ein: »Das klingt unterwürfig und nach Anpassung« (32f.) – um aber sogleich eine Relativierung hinterherzuschicken:

[Das] war aber nicht mehr als eine Floskel, die in den katholischen Lebenszirkeln der deutschen Gemeinde von Den Haag im Jahre 1941 gängig war. So heißt es etwa im Bericht für das Jahr 1940 der katholischen Elisabeth-Stiftung Den Haag, der im April 1941 vorgelegt und von dem zuständigen Seelsorger Wilhelm Müller mitunterzeichnet wurde, daß nun eine neue Zeit angebrochen und zu hoffen sei, daß auch »unser Gastland … beim Werden des neuen Europas« einen »würdigen Platz neben unserem Heimatlande« finden möge. (33)

Sagt ein Priester also etwas inhaltlich Ähnliches – wenn auch eine Spur weniger nach NS-Diktion klingend –, verwandeln sich die Sätze Röders im Nu in die harmlosen Worte eines deutschen Katholiken, und das Thema ist erledigt. Zwar erfährt man, daß neben Röders Aufsatz auch antisemitische Texte im Niederlandbuch vertreten sind und daß das Vorwort von Hauptkriegsverbrecher Arthur Seyß-Inquart beigesteuert wurde. Eine Auseinandersetzung mit dem propagandistischen Gehalt von Röders Schrift findet jedoch nicht statt. Ebenso wenig berichtet Küppers von der vorherigen Veröffentlichung des Aufsatzes. Dem 1941 erschienenen Sonderdruck hat Röder ein kurzes Vorwort von Siegfried Hinderdael vorangestellt, einem Sohn des flämischen Autors und Kollaborateurs Jef Hinderdael. Der Einleitungstext macht aus dem Sinn und Zweck der Publikation keinen Hehl:

Ebensowenig wie sich der Blutstrom einer schöpferischen Rasse durch die Jahrhunderte sich auf die Dauer unterbinden oder abschneiden lässt durch die gegenwirkenden Einflüsse zeitlich geänderter äusserlicher Umstände, – und ebensowenig wie man die lebenden und dynamischen Kräfte eines Volkes schliesslich aufreiben kann durch ein vorübergehendes volksfremdes Zwangssystem oder durch eine staatspolitische Zersplitterung des Volkes, ebensowenig kann auch die tragende staatsbildende Idee, wenn sie der Art dieses Volkes gemäss ist, auf die Dauer unter der Oberfläche des Volksbewusstseins verdrängt bleiben. Einmal wird dann im Leben dieses Volkes der Tag kommen, an dem diese blutsmässige Idee, trotz aller Unterdrückung durch rassefremde Lehre oder schlaue Propaganda der universalistisch gerichteten Mächte, doch wieder von neuem durchbricht, weil sie vom Blute dieses Volkes nicht zu lösen ist und deshalb immer nach Verwirklichung strebt. […] So sollen auch wir diese Worte eines der grössten niederdeutschen Männer jener Zeit aufnehmen als ein erfrischendes geistiges Bad, um uns danach sofort wieder dem Heute zuzuwenden, das nun unter der Führung Adolf Hitlers mit dieser Vergangenheit verbunden wird, um in naher Zukunft verwirklicht zu werden in der Tat.14

Um eine adequate Verbreitung dieser Propaganda sicherzustellen, wurde Röders Schrift auch ins Niederländische übersetzt, in dieser Ausgabe allerdings, ohne Röder als Autor zu nennen. Wie groß die Auflage der Broschüre insgesamt war, ist nur schwer zu eruieren. Jedenfalls wurde sie in der niederländischen Massenpresse breit rezipiert. Während gleichgeschaltete Zeitungen wie das Haarlem’s Dagblad wohlwollend-devot aus dem Text zitierten und ihren Lesern Röders Empfehlung weitergaben, es sei nun an den Niederlanden, die ausgestreckte »vriendenhand aan te nemen«15 , gab es auch publizistischen Widerstand. Die Wochenzeitung De Weg druckte eine ausführliche Abrechnung mit Röders Schrift, die der Autor als »grove geschiedvervaisching« (grobe Geschichtsfälschung) entlarvte. Auf insgesamt fünf Zeitungsseiten werden Röder eine dreist einseitige Zitateauswahl und eine verfälschende Übersetzung vorgehalten, jeweils mit der Absicht, aus den Worten des Marnix eine Rede zu machen, die letztlich ein »Groot-Duitsch annexionist« gehalten haben könnte. Der Autor schließt mit der Bemerkung:

Wir ziehen daraus die Lehre, daß jeder das niederländische Volk oder den niederländischen Staat bedrohende Annexionismus nur verteidigt werden kann, indem man die Natur mißachtet, die Geschichte verfälscht und sich gegenüber der Wahrheit versündigt.16

Der Autor des Artikels ist unbekannt, der Text ist – allem Anschein nach aus Sicherheitsgründen – lediglich mit der Bemerkung »Van een bijzonderen medewerker« (»von einem besonderen Mitarbeiter«) gezeichnet. Viel genützt hat diese Vorsichtsmaßnahme nichts, zumindest der Zeitung. Nur zwei Wochen später, am 30. August 1941, wurde De Weg verboten.

Briefausschnitt Franz Röder; Quelle: Landearchiv Saarbrücken

Unterstützt durch Auslassungen, Fehlschlüsse und mangelnde Recherche kommt Küppers letztlich zu dem Urteil:

Ein Widerständler ist Röder nicht gewesen. Er hat sich angepasst, notgedrungen und immer so, dass er in einem Staat, in dem das Recht und die Freiheit verloren gegangen waren, moralisch mit sich selbst und seinen eigenen Wertmaßstäben im Reinen bleiben konnte.

Auf die Idee, daß Röder Mitverantwortung dafür tragen könnte, daß die Freiheit »verloren« gegangen war, kommt der Autor nicht. Entgegen der Faktenlage strickt Küppers lieber an der Legende eines unpolitischen Röder, der Opfer seiner Zeit geworden ist:

Die Schatten und Herausforderungen einer schrecklichen Zeit erreichten Röder und seine junge Familie eigentlich erst im Jahre 1940. Aber nun mit voller Wucht. Der brutale Umbruch von einem eher unauffälligen Leben am Rande einer Diktatur zu einer Zeit der Leiden, der Demütigungen und Enttäuschungen kam für Röder mit dem Westfeldzug im Mai 1940, als die (sic!) Hitlers Armeen in die neutralen Niederlande einfielen. Davor dürfte er die Zeit bereits als beklemmend empfunden haben. Aber in dieser Phase war Hitler noch in weiten Kreisen populär gewesen, sodass er in seinem niederländischen Gastland kaum eine Wahl hatte, als sich angepasst zu verhalten. (28)

Diesen Zeitraum, in dem Röder sich ja gerade nicht zurückzog, sondern aus der Anonymität hervortrat und publizistische Erfolge feierte – Erfolge, die er vor der deutschen Besatzung nicht gekannt hatte und die ihn in den Niederlanden bekannt machten – als eine »Zeit der Leiden, Demütigungen und Enttäuschungen« deuten zu wollen, ist, gelinde gesagt, eigenwillig. Sie fordert Widerspruch geradezu heraus.

Kollektiver Eiertanz

Die letzten öffentlichen Äußerungen, die man zu Röder vernehmen konnte, deuten jedoch in eine andere Richtung. Im vorigen Jahr kam Dietmar Hüser, Professor für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes, in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung zu dem Schluss, Röder sei weder ein Nationalist noch ein Nazi gewesen, sondern lediglich ein Opportunist und hristdemokratischer Patriot.17 Übertroffen wird das noch vom Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs, Hans-Christian Herrmann, der auf die Einschätzung Hüsers in der gleichen Zeitung antwortete: »Ich glaube, daß das, was wir wissen, nicht ausreicht, um dieses doch sehr negative Urteil fällen zu können.« Außerdem sei Röder nicht direkt in Kriegsverbrechen involviert gewesen – die Widerlegung einer Behauptung, die im Übrigen niemand aufgestellt hat.18

Röder war, sofern nicht gegenläufige Fakten bekannt werden, ein wohlfunktionierendes Rädchen im System, ein Nazi aus der dritten Reihe und bis zu Schluß im Dienste für Volk und Führer. Dafür trägt er Verantwortung, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Außergewöhnlich ist nicht so sehr Röders NS-Vergangenheit, vielmehr ist es der kollektive Eiertanz, der auch heute noch – 71 Jahre nach Kriegsende – aufgeführt wird, sobald von ihr die Rede ist.


Anmerkungen

1 Küppers, Heinrich, Franz Josef Röder (1909-1979). Baumeister des Saarlandes, Conte Verlag, St. Ingbert 2015.
2 Küppers stellt Buch über Röder vor: Saarland-»Baumeister«, in: Saarbrücker Zeitung vom 26. November 2015.
3 Wettmann-Jungblut, Peter: Im Schatten der Geschichte. Fakten und Überlegungen zu Franz Josef Röders Vergangenheit vor 1945, in: Saargeschichte|n 4 (2013), S. 4-13.
4 Später, Erich, Das Wort des Führers ist unser Befehl. Heinrich Schneider, ein deutscher Patriot, in: Saarbrücker Hefte 89 (2003), S. 95-103.
5 Röder, Josef, Hilferuf an das Reich. Eine zeitnahe Erinnerung aus der niederländischen Geschichte/St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms im Jahre 1578, in: Deutsche Zeitung in den Niederlanden Nr. 134 vom 16. Oktober 1940.
6 Röder, Josef, Marnix von St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms (1578), Den Haag 1941.
7 Röder, Josef, Marnix von St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms (1578), in: Walter Söchting (Hrsg.), Das Niederlandbuch. Sammlung deutscher und niederländischer Arbeiten. Mit einem Geleitwort von Arthur Seyß-Inquart, Frankfurt am Main 1942, S. 145-149; zum Niederlandbuch ausführlich: Später, Erich, Der Landesvater, in: Saarbrücker Hefte 110/111 (2014), S. 7-14, hier: S. 12f.
8 Brief von Franz Röder vom 13. Januar 1937: Landesarchiv Saarbrücken, Entschädigungsakte Franz Röder.
9 Waibel, Jens, Die deutschen Auslandsschulen – Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Frankfurt 2012, S. 2, 235ff.
10 Ebd., S. 279f.
11 Impekoven, Holger, Die frühen Jahre des DAAD, in: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.), 90 Jahre DAAD, Bonn Juni 2015, S. 11-25, hier: S. 22.
12 Ebd., S. 24.
13 Röder, Marnix, in: Das Niederlandbuch, S. 149.
14 Hinderdael, Siegfried, Einleitung, in: Röder, Marnix, S. 7-9, hier: S. 7,9. 15 Marnix van St. Aldegonde, in: Haarlem’s Daagblad vom 23. Juni 1941, S. 2.
16 »Wij trekken er deze les uit, dat ieder annexionisme dat het Nederlandsche volk of den Nederlandschen staat bedreigt, slechts verdedigd kan worden door de natuur te miskennen, de historie te vervalschen en de waarheid te verkrachten.« Marnix voor den Rijksdag te Worms, in: De weg: nationaal weekblad Nr. 16 vom 16. August 1941, S. 8-12, hier: S. 12.
17 Historiker entlastet Röder, in: Saarbrücker Zeitung vom 11. November 2015.
18 »Verstrickung in NS-Verbrechen ist nicht anzunehmen«, in: Saarbrücker Zeitung vom 19. November 2015.

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